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Wenn man den Titel „Der Jesuswahn“ von Heinz-Werner Kubitza einer kritischen Würdigung unterzieht, erscheint es zunächst einmal sinnvoll, dass man die Voraussetzungen im Denken des Schreibers zu diesem Thema offen legt.

 

Deshalb hier eine kurze thesenartige Zusammenfassung :

 

1. Jesus ist eine reale, geschichtliche Person, deren Leben und Wirken freilich historisch nur äußerst lückenhaft dokumentiert sind und deren reale Existenz, wenn überhaupt, nur noch mit Mühe aus der Legendenbildung seiner Anhänger herauszuschälen ist.

 

2. Jesus ist ein relativ typischer, jüdischer Wanderprediger um die Zeitenwende, der eine beträchtliche Wirkung auf seine Anhänger ausgeübt haben muss und der als Unruhestifter hingerichtet wurde.

 

3. Jesus ist selbstverständlich ein Mensch und nicht mehr, der aber durch seine Anhänger a posteriori. erhöht, geheiligt und verklärt wurde.

 

4. Schriftliche Darstellungen über ihn unterliegen der interessengeleiteten Sicht seiner Anhänger, denen an einer Apotheose seiner Gestalt gelegen war, und sind deshalb weitestgehend unhistorisch. Ein eventuell vorhandener historischer realer Kern lässt sich im Gestrüpp der Legendenbildung um seine Gestalt nicht mehr verlässlich aus den so genannten Zeugnissen, den Evangelien und apokryphen Schriften, erschließen.

 

5. Die ihm zugeschriebenen Worte und Lehren lassen sich allenfalls in einem gewissen Grundtenor mehr erahnen als erkennen.

 

6. Das traditionelle mosaische Gesetz und die jüdische religiöse Hierarchie betrachtete er eher kritisch-differenziert und er wandte sich vor allem an einfache Leute und selbst Randständige .

 

7. Alles Weitere (Messiasanspruch, wortwörtliche Gottessohnschaft, Auferstehung) müssen als posthume Mystifizierung seiner Person durch seine Anhängerschaft verstanden werden.

 

8. Die spätere Dogmatisierung der Lehre durch die Kirche (Jungfrauengeburt, Dreifaltigkeit usw.) bedarf in diesem Rahmen keiner weiteren Erwähnung.

 

Daraus folgt, dass die Ausführungen des Autors weitgehend als gesichert erscheinen; eine detailliertere Diskussion einzelner Aspekte im Sinne einer nicht-christlichen Exegese wird damit überflüssig.

 

Interessant erscheint die Überlegung, an welches Zielpublikum sich das Werk richten könnte und welche Reaktionen zu erwarten sind.

 

Nicht christlich orientierte Leser werden darin, soweit sie sich mit der Materie einigermaßen auskennen, nichts wesentlich Neues erkennen, aber dankbar sein für die kenntnisreiche, klare, sehr gut lesbare Darstellung. ( Hierzu rechne ich mich selbst. Mir persönlich hat auch der Schreibstil besonders gut gefallen.)

 

Liberale gläubige Christen, wohl die interessantesten Adressaten der Arbeit, werden sich in manchem, wenn auch nicht in allem wieder finden. Viele Gläubige werden sich mit abstruseren Punkten der katholischen Dogmatik (päpstliche Unfehlbarkeit, Jungfrauengeburt und leibliche Himmelfahrt Mariens) aus meiner Erfahrung auch nicht identifizieren können; viele dieser Punkte werden ihnen herzlich gleichgültig sein, ohne dass damit ihr Glauben letztlich erschüttert würde. Glaube ist für sie eine subjektive Erfahrung eigener Art, die durch eine historisch-wissenschaftliche Widerlegung einzelner Punkte der Mythologie nicht berührt werden kann. Nicht viele von ihnen werden sich wohl den irrationalen Grundsatz credo quia absurdum zu eigen machen, aber wohl eher ein credo ergo sum, wobei diese Haltung wird auch ein Nichtgläubiger gern als reine Privatsache akzeptieren und respektieren können.

 

Mehr Angriffsfläche liefert der Zielgruppe der liberalen Gläubigen wahrscheinlich der gelegentlich sehr polemische Ton, der Religiosität als per se schädlich und Gläubigkeit als überflüssig und eines denkenden Menschen unwürdig erscheinen lässt. Wenn der Autor die Bibel als „ein Regelwerk der Gruppenmoral mit Anweisungen zum Völkermord, zur Versklavung anderer Gruppen und zur Weltherrschaft“ (S. 27) und als „das am meisten überschätzte Buch der Weltliteratur“ (S. 29) bezeichnet, wird das nicht wenigen sauer aufstoßen. Der so geartete Christ wird argumentieren, dass der Autor die durch die Entstehungsweise dieser und aller anderen „Heiligen Schriften“ notwendig angelegte Widersprüchlichkeit der Texte, die wohl nur von biblischen Fundamentalisten unter Zuhilfenahme der abenteuerlichsten Rabulistik abgeleugnet wird, verkenne, und dass er eine konsistente Stimmigkeit, die bei der Vielzahl der Schreiber der Texte gar nicht erwartet werden kann, in unangemessener Weise verlange.

 

Weitere Argumente der Kritik werden sein:

 

- Dass die Bibel, nicht in allen aber in vielen Passagen zum literarischen Kulturerbe der Menschheit gehört und menschliches Denken und Handeln in all seiner Widersprüchlichkeit, und dazu gehört selbst Perfidie und Grausamkeit, auch nicht anders als etwa die Ilias abhandelt.

 

- Dass die Bibel in der fundamentalistischen Auffassung vieler Gläubigen als wortwörtliche Botschaft Gottes missverstanden wird, müsse einen nicht so orientierten Leser der Texte nicht weiter beirren. Er solle sich diese Sicht in seiner berechtigten Ablehnung dieser Lesart –auch ex negativo- aber nicht aufzwingen lassen.

 

- Dass für die Beurteilung einer Religion oder einer Ideologie in jedem Fall der biblische Grundsatz, „an ihren Werken werdet ihr sie erkennen“ gelte. Solche Werke mögen positive oder negative sein. Zu den Werken der Unmenschlichkeit gehören die Kreuzzüge, die Ketzer- und Hexenprozesse, generell die Verfolgungen Andersdenkender; aber auch die grundsätzlich rationalen, humanitären und sozialen Denkrichtungen der Aufklärung und des Sozialismus sind zum Terreur, zum Gulag und zum „real existierenden Sozialismus“ entartet. Aber all das geschah natürlich zur Beförderung des Seelenheils oder des Glückes und der Freiheit der Menschheit.

 

Dass fundamentalistisch orientierte Christen, die in dieser rationalen, historisch-kritischen Herangehensweise an die Bibel nur Gotteslästerung und ein Werk des Satans zu sehen vermögen, von den Ausführungen des Verfassers nicht erreicht werden können, liegt auf der Hand. Aber gerade aus dieser Ecke werden die weltanschaulich neutralen Grundlagen des demokratischen Staates immer wieder in Frage gestellt. Dazu gehören eine eindeutigere Trennung von Kirche und Staat, ein Verzicht seiner Repräsentanten, ihre privaten religiösen Überzeugungen in ihrer politischen Arbeit wirksam werden zu lassen und der Versuch, moralisches Handeln zum Privileg religiös orientierter Menschen machen zu wollen, unter Verkennung der Tatsache, dass man damit beträchtlichen Teilen unserer Bevölkerung jegliche moralische Integrität abspricht und sie letzten Endes zu Bürgern zweiter Klasse zu degradieren versucht.

 

Trotzdem werden auch liberale Christen zugeben müssen, dass die von unseren konservativen Politikern gerne angeführte Behauptung, unser demokratisches Staatswesen sei ohne eine christlich fundierte Wertebasis undenkbar, letztlich der von Kubitza in Kapitel 5 im Abschnitt „Woher stammen unsere Werte wirklich?“ getroffenen Feststellung nur wenig entgegenhalten können: die wesentlichen Grundwerte unserer Verfassung, nämlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Gleichheits- und Toleranzgebot, das Recht auf Meinungsfreiheit, das Prinzip der Rechtstaatlichkeit lassen sich keinesfalls auf christliche Werte zurückführen, ja mussten über die Jahrhunderte gerade gegen im Althergebrachten verharrende Kirchen ausdrücklich erkämpft werden, die in Autoritätsgläubigkeit und hierarchischem Denken stecken blieben, die in Frontstelluing gegen den demokratischen Pluralismus ein Monopol der Gedankenkontrolle beanspruchen wollten und wollen und aus ihrer behaupteten weltanschaulichen Autorität auch sehr weltliche Machtansprüche ableiteten und diese vielfach auch heute noch geltend machen. Zwar ist das Christentum heute weitgehend im demokratischen Staatswesen angekommen, doch geschah dies immer widerstrebend und mit beträchtlicher Verzögerung, mehr nolens als volens.

 

Zusammengefasst ist Kubitzas Buch eine sehr kenntnisreich recherchierte, überzeugende und auch für den auf diesem Gebiet weniger Bewanderten sehr informative und gut lesbare Lektüre.

 

Heinz-Werner Kubitza

Der Jesuswahn

Wie die Christen sich ihren Gott erschufen.

Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung

380 Seiten, Hardcover

19,90 Euro, 26 SFr

Tectum Verlag 2011

ISBN 978-3-8288-2435-5

 

omnibus56 sagte

März 13, 2011 um 1:02 pm

Ich habe das Buch vor einigen Wochen auch gelesen. Ich stimme mit dieser Besprechung im Wesentlichen überein. Nur in einem Punkt würde ich anders argumentieren:

»Wenn der Autor die Bibel als „ein Regelwerk der Gruppenmoral mit Anweisungen zum Völkermord, zur Versklavung anderer Gruppen und zur Weltherrschaft“ (S. 27) und als „das am meisten überschätzte Buch der Weltliteratur“ (S. 29) bezeichnet«, muss man diese Sätze im Zusammenhang mit dem Abschnitt „Woher stammen unsere Werte wirklich?“ sehen. Ich stimme Heinz-Werner Kubitza ausdrücklich zu, da die reklamierten moralischen Werte der Bibel durch definitiv amoralische Passagen völlig entwertet werden (vgl. mit solchen inhaltsleeren Aussagen wie: „in der DDR/im Nazideutschland war auch nicht alles schlecht“ – natürlich ist auch in der Bibel nicht alles schlecht…).

Wenn man aus der Bibel Anweisungen für (in unserer heutigen Sicht) moralisch einwandfreies Handeln ziehen kann, dann nur in dem man diese Stellen aus dem (in unserer heutigen Sicht) „amoralischen Müll“ heraus zieht, sie dem Müll vorzieht. Damit trifft man aber die Wahl a priori also bereits vor dem Erhalt der moralischen Anweisung, die man zu befolgen hat.

Damit hat man nichts gewonnen, denn „der (angebliche) Gewährsmann für moralischen einwandfreies Handeln“ ist eine Quelle, aus der man mit Leichtigkeit auch die schlimmsten Gräuel her nehmen und als strikte Handlungsanweisungen betrachten könnte, wenn man „moralisch einwandfrei“ vorher schon passend definiert hat.

Natürlich bekommt man in Diskussionen mit Supers immer wieder zu hören, diese Stellen wären nicht so zu lesen – was aber die Kritik am Status der Bibel als Richtschnur stützt und nicht widerlegt.